Planung & Versorgung
Kanton St.Gallen Amt für Wasser und Energie

09. Februar 2023

Altenrhein heizt nachhaltig

Die Firma BWB Oberflächentechnik in Altenrhein kühlt ihre Produktionsanlagen mit Bodenseewasser. Das dabei erwärmte Seewasser versorgt seit Herbst 2022 eine grosse Wohnüberbauung im Dorfzentrum. Möglich wurde das Dank einer engen Zusammenarbeit der Gemeinde und des Industriebetriebes.

Urs-Peter Zwingli

Urs-Peter Zwingli
Journalist BR

«Für dieses Projekt mussten alle Beteiligten Neuland betreten und damit ein gewisses Risiko eingehen. Nun ist daraus eine Win-Win-Situation entstanden», sagt Beat Bosshart, Gemeinderat von Thal, zur Realisierung des Anergienetzes im Gemeindeteil Altenrhein. Dieses Netz nutzt die Abwärme der Produktionsanlagen des Industriebetriebes BWB Oberflächentechnik. Seit Oktober 2022 werden so 55 Mietwohnungen in der neuen Überbauung «Am Dorfplatz» mit Wärmeenergie versorgt.

«Ein Bekenntnis der Gemeinde»
Die international tätige BWB Oberflächentechnik behandelt an ihrem Standort in Altenrhein Oberflächen von Metallen mit diversen Verfahren. Bereits seit 2003 nutzt der Industriebetrieb Wasser aus dem nahen Bodensee, um seine Produktionsanlagen energiesparend zu kühlen. 2019 traf Norbert Gächter, Geschäftsleiter der BWB Altenrhein AG, an einer kantonalen Veranstaltung zur allgemeinen Seewassernutzung auf Beat Bosshart. «Im Austausch danach entstand spontan die Idee, die Abwärme aus unserem Betrieb für Altenrhein zu nutzen.»

Für dieses Projekt mussten alle Beteiligten Neuland betreten und damit ein gewisses Risiko eingehen. Nun ist daraus eine Win-Win-Situation entstanden. 

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Beat Bosshart
Gemeinderat Thal und selbstständiger Energieingenieur

Dass der Immobilienentwickler Fortimo AG gleichzeitig eine Überbauung mit 55 Wohnungen im Altenrheiner Dorfzentrum plante, sorgte laut Bosshart für die nötigen Abnehmer, um das Netz kostendeckend betreiben zu können. Die Gemeinde hat bisher rund 1,1 Millionen Franken investiert. «Dieses Engagement ist auch ein Bekenntnis der Gemeinde, dass wir langfristig wegwollen von der Nutzung fossiler Energien», sagt Bosshart. «Und eben: Es brauchte die BWB und Fortimo, die sich ebenfalls für die Umsetzung engagierten.»

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Das Leitungsnetz versorgt bis jetzt die neue Wohnüberbauung, noch dieses Jahr soll auch das Schulhaus Altenrhein angeschlossen und ab 2024 soll das Netz fertig gestellt werden. «Das Netz hat das Potential, rund einen Drittel der Wohnimmobilien in Altenrhein mit Wärmeenergie zu beliefern», sagt Bosshart, der neben seinem politischen Amt als selbständiger Energieingenieur arbeitet. Auch Industrie- und Gewerbebetriebe in Flughafennähe (dort verläuft die Leitung) könnten an das Netz angeschlossen werden.

Jedes angeschlossene Gebäude benötigt eine eigene Wärmepumpe. Diese heizt das bereits erwärmte Wasser mit Strom zusätzlich auf. Weil die Ausgangstemperatur des Wassers höher ist, ist dieser Prozess jedoch effizienter als bei einer herkömmlichen Wärmepumpenanlage. In beschränktem Umfang kann das Anergienetz zudem auch für Kühlprozesse und die Raumkühlung eingesetzt werden.

Die Nutzung der Abwärme unserer Produktionsprozesse macht in der aktuellen Klimadiskussion viel Sinn. 

Norbert Gächter Portrait

Norbert Gächter
Geschäftsleiter BWB Altenrhein AG

Auch der Bodensee profitiert
«Die Nutzung der Abwärme macht in der aktuellen Klimadiskussion viel Sinn», sagt Norbert Gächter von der BWB. Sein Betrieb spare auch gewisse Kosten ein, da sich die Gemeinde am Unterhalt der verschiedenen Wasserkreisläufe im Betrieb beteilige.

Für Gächter fügt sich die sehr gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde zudem in strategische Überlegungen der BWB ein. «Möglichst energieeffizient zu arbeiten, ist uns ein Anliegen.» Aktuell plant der Industriebetrieb beispielsweise eine grosse Photovoltaikanlage auf dem Firmengelände, das rund 21’000 Quadratmeter umfasst.

Das Seewasser kommt im ganzen Prozess nie mit anderen Flüssigkeiten in Kontakt: Die Seewasserwärme sowie die im Produktionsprozess zugeführte Abwärme wird mittels Wärmetauschern an das Anergienetz übertragen. Das Wasser wird so kühler zurück in den See eingeleitet als vorher. Weil die Oberflächentemperatur von Gewässern mit dem Klimawandel tendenziell zu warm ist, ist das kühlere Wasser für den Bodensee ideal.

Anergienetz Altenrhein

  • Maximale Leistung: 1’300 Kilowatt (entspricht jährlich 3-4 GWh) oder Wärmeenergie für rund einen Drittel der Wohnimmobilien sowie einen Teil der Industrie in Altenrhein.
  • Jährlich eingespartes CO2 bei vollem Ausbau ab 2024/2025: Zwischen 730 und 820 Tonnen.
  • Netzlänge bei vollem Ausbau: Rund 1,5 Kilometer.

Was kann ich tun?

  • Anergienetze können aus verschiedensten Wärmequellen gespiesen werden: So besteht beispielsweise in Rapperswil-Jona der Energieverbund Jona, der die Energie aus dem gereinigten Abwasser der ARA vor Ort bezieht.
  • Das Potential zur Nutzung von Abwärme aus Industriebetrieben ist hoch – sprechen Sie mit Vertretern des lokalen Gewerbes oder den Behörden, um erste Ideen dazu auszutauschen. Im Idealfall profitieren beide Seiten von einer Zweitnutzung dieser wertvollen Energie.

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